Wolf und Weidetiere - Lösung gesucht!

Der Wolf ist in Deutschland wieder heimisch geworden. Das Land sagt: kein Problem, genug Platz für alle. Die Weidetierhalter machen häufig andere Erfahrungen und fordern Lösungen, wie ein Beispiel aus dem Landkreis Kaiserslautern zeigt.

Vergangenen Sommer in Martinshöhe, Landkreis Kaiserslautern: Als Jörg Porz am 11. August wie jeden Morgen seine kleine Ziegenherde besucht, den Zaun kontrolliert und grob durchzählt, fällt ihm noch nichts Besonderes auf. Erst der Anruf eines Hundehalters, dass auf seiner Weide „etwas liege“, machte Jörg Porz stutzig und ließ ihn nochmals rausfahren. „Und da habe ich den Riss entdeckt. Von dem gerissenen Kitz fehlten die beiden Keulen, ein Blatt und die verzehrbaren Innereien. Da sind rund fünf Kilo Fleisch.“ Außerdem war ein Kitz vollständig verschwunden.
Das „Koordinationszentrum für Luchs und Wolf“ des Landes, kurz „KLUWO“, nahm den Vorfall auf. Die Analyse ergab später zweifelsfrei: Es war ein Wolf, der die Ziege gerissen hatte. „GW2886m“, so der fachlich zugeteilte Name des Grauwolfs, wurde zwei Tage später in derselben Gegend ein weiterer Riss zugeordnet, ebenso andernorts eine Woche zuvor. „Der hatte wohl richtig Hunger“, stellt Jörg Porz lakonisch fest.
Am 1. April begann das neue Jagdjahr, und die neue Weidesaison steht bevor. Zudem will der NABU am 30. April den „Tag des Wolfes“ ausrufen. Der Deutsche Bauernverband und die Landesbauernverbände werden dies zum Anlass nehmen, auf die Probleme der Weidetierhalter aufmerksam zu machen.

"Wolf muss ins Jagdrecht aufgenommen werden"
Zahlreiche Tierhalterinnen und Tierhalter, die überwiegende Zahl im landwirtschaftlichen Nebenerwerb tätig, machen sich Gedanken, ob sie angesichts einer immer weiter zunehmenden Wolfspopulation überhaupt noch weitermachen sollen. „Einerseits lassen wir den Wolf gewähren, andererseits wird verlangt, die Weiden durch Nutztierhaltung offen zu halten. Das ist ein Widerspruch“, findet auch Günter Albrecht, Landwirtschaftsmeister aus Reichenbach-Steegen (Landkreis Kaiserslautern) und Mitglied der Vollversammlung der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz. „In unseren hügeligen Landschaften, wo nun mal die klassischen Weiden beheimatet sind, halten die vorgeschriebenen Zäune keinen Wolf auf. Das ist Augenwischerei. Der Wolf muss ins Jagdrecht aufgenommen werden, damit die Population in Gebieten mit Weidetierhaltung reguliert werden kann.“ Günter Albrecht und Jörg Porz blicken zu den europäischen Nachbarn. Ob in Finnland, Frankreich oder Schweden – wenn die Wolfspopulation eine bestimmte Größe erreicht habe, werde eingegriffen. Der Grauwolf, der für die Risse rund um Martinshöhe verantwortlich ist, sei aus Frankreich eingewandert, berichtet Agraringenieur Jörg Porz: „In den entsprechenden Regionen Frankreichs, etwa in den Regionen Provence Alpes und Auvergne Rhone Alpes, sind nach meinen Recherchen in französischen Quellen die Risse rückläufig. Aber dort finden organisierte Großjagden statt, und Schäfer mit Jagdschein verteidigen ihre Herden.“ 
Die Ziegen sind Hunde gewöhnt, daher werden sie auch nicht so schnell vor einem Wolf fliehen, sagen Nutztierhalter. Warum sollte sich der Wolf also auf die wesentlich mühsamere Jagd nach Rehwild begeben, wenn die Weide wie der sprichwörtliche gedeckte Tisch lockt? 
Um im Fall eines Wolfrisses Entschädigungszahlungen zu erhalten, müssen verschiedene Kriterien erfüllt werden. Zunächst macht es einen Unterschied, ob man sich in einem Präventionsgebiet befindet oder außerhalb eines solchen. Innerhalb von Präventionsgebieten, also wo der Wolf als sesshaft nachgewiesen ist, müssen beispielsweise die Vorgaben an die Einzäunung genau eingehalten werden. Die Weide von Jörg Porz war mit dem vorgeschriebenen 1,05 Meter hohen Zaun eingerichtet, „außerdem wird jeder Meter Zaun auf Bodenschluss und dergleichen untersucht“, weiß der Ziegenhalter. Stromspannung, Erdung, Batteriebehälter – alles wird überprüft. Außerhalb von Präventionsgebieten müssen solche Vorgaben hingegen nicht eingehalten werden, um Entschädigungszahlungen zu erhalten. Jedoch ist es nicht umsetzbar, die Vorgaben vor allem in hügeligem Gelände einzuhalten.

Viele Tierhalter geben nach einem Riss auf
Doch Geld sei nur die eine Seite, weiß Jörg Porz. „Ich kenne Landwirte im Nebenerwerb, die nach einem Riss ihre Tiere nur noch im Stall halten. Diese Situation, dass man seine Tiere dem Wolf nahezu schutzlos aussetzt, halten nicht alle aus und geben auf.“ 
Dr. Peter Sound ist der für Artenschutz zuständige Referent im rheinland-pfälzischen Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität. Auf die Forderungen der Pfälzer angesprochen, stellt der Biologe fest: „Wir sind noch weit von einem guten Erhaltungszustand des Wolfes entfernt. Die Population hat sich im vergangenen Beobachtungszeitraum mehr als halbiert!“ Seine Daten weisen fünf residente, also dauerhaft angesiedelte Wölfe in ganz Rheinland-Pfalz aus, das KLUWO geht gar nur von zweien aus. „Das ist ein deutlicher Hinweis auf den schlechteren Erhaltungszustand, wobei wir von einem Wolf wissen, dass der mit einem Tochtertier unterwegs ist“, berichtet Sound.

Eine wie von manchen prognostizierte „explosionsartige“ Ausbreitung des Wolfs in Rheinland-Pfalz hält der Referent für ausgeschlossen, „das Straßennetz gehört zu den Faktoren in unserem Land, die eine weitere Ausbreitung wie in anderen Bundesländern stark begrenzt.“ Wesentlich für ein funktionierendes Miteinander von Landwirtschaft und Wolf ist für Dr. Sound der Präventivschutz. Dass der Wolf in Martinshöhe einen intakten Zaun mit Stromschutz gegen den Berg überwunden habe, sei ein Novum. „Denn wenn die Zäune richtig installiert sind, geht da kein Wolf durch, das müsste ich mir nochmal näher ansehen. Das KLUWO kommt übrigens auch gerne beratend vor Ort vorbei und hält sogar Notfallzäune bereit, sobald eine Gefahr für die Weidetiere besteht“, betont er die Wirksamkeit des sogenannten Grundschutzes. Der Grundschutz in Präventionsgebieten wird im ersten Jahr komplett und dann in den Folgejahren abschmelzend gefördert.

4.000 Übergriffe pro Jahr in Deutschland
Eine Aufnahme ins Jagdrecht hält Dr. Peter Sound also nicht nur vor dem Hintergrund des schlechten Erhaltungszustands für ausgeschlossen: „Vor dem Jagdrecht steht das Artenschutzgesetz, und da ist der Wolf als streng geschützte Art verankert.“ Abschließend vergleicht der Referent die Wolfspopulation von Frankreich und Deutschland. „In Deutschland haben wir 160 Rudel und etwa 4.000 Übergriffe. In Frankreich sind es 100 Rudel und 12.000 Übergriffe.“ Umweltstaatssekretär Dr. Erwin Manz kündigte zudem eine Vereinfachung für die Prävention vor Wolfsangriffen an. Ein Wolf galt bisher als sesshaft in einer Region, wenn er sich dort nachweislich sechs Monate aufhält. Dann werden den Weidetierhaltern auch die entsprechenden Fördergelder gewährt. Dieser Zeitraum soll nun auf drei Monate verkürzt werden.
Jörg Porz bleibt indes nur zu hoffen, dass es bei diesem Ereignis vom vergangenen Sommer bleibt: „Dieses Erlebnis wünscht man niemandem.“