Ernährungssicherheit kontra Umweltschutz?

Eine inhaltlich sehr kontrastreiche Vollversammlung sei das gewesen: Das berichteten die Teilnehmenden der eintägigen Veranstaltung in Bockenau. Dafür sorgten die Beiträge der Landwirtschaftsministerin und des Umwelt-Staatssekretärs.

Die Hoffnung, dass man nach Corona-Pandemie und Flutkatastrophe im Ahrtal bei der Vollversammlung der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz wieder zu etwas „normaleren Zeiten“ zurückkehren könnte, wurde am 24. Februar durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zerstört. „Noch vor wenigen Jahren hätten wir uns nicht vorstellen können, in welcher Situation sich die Welt heute befindet“, erklärte der Kammerpräsident, Ökonomierat Norbert Schindler, bei der Begrüßung der rund 120 Teilnehmer in Bockenau. „Mit dem Krieg in der Ukraine sind wir direkt betroffen und richten den Blick auf die Ernährungssicherheit in unserem Land, aber auch in der ganzen Welt.“ Verschiedene Forderungen der Landwirtschaft liegen seither auf dem Tisch, die auch im Rahmen der Vollversammlung diskutiert wurden – durchaus kontrovers. „Als Vertreter der Landwirtschaft sind wir bereit, unseren Beitrag zur Ernährungssicherheit zu leisten. Allerdings müssen sich die Rahmenbedingungen durch die Politik ändern“, forderte Schindler, der sich am Vormittag direkt an die rheinland-pfälzische Landwirtschaftsministerin Daniela Schmitt wenden konnte. Sie war ebenfalls der Einladung des „Bauernparlaments“ gefolgt und lag mit der Versammlung weitgehend auf einer Linie.

Pragmatisches Handeln gefordert

„Wir brauchen jetzt angepasstes Denken und pragmatisches Handeln. Jetzt wird den meisten Menschen bewusst, welchen Wert die Dinge haben, die wir mit unseren Händen in der Natur erwirtschaften“, schien die Ministerin den Landwirten im Saal aus der Seele zu sprechen. Ihr großer Bogen war der „gemeinsame Schulterschluss“, den es nun zwischen allen Beteiligten geben müsse: Landwirtschaft, Politik, Gesellschaft und Verbände müssten an einem Strang ziehen. Dass angesichts drohender Lebensmittelknappheit auch gewisse agrarpolitische Weichenstellungen, zumindest übergangsweise, außer Kraft gesetzt werden müssten, sei der Ministerin klar: „Es geht ja nicht um die generelle Rückabwicklung der verschiedenen Maßnahmen. Sondern es geht um die Sicherung der Ernährung, und das sind wir der Weltbevölkerung schuldig.“ Man lebe in Europa in einer der fruchtbarsten Regionen der Welt, so Ministerin Schmitt. „Damit tragen wir eine große Verantwortung, die weltweite Ernährungsversorgung sicherzustellen und Härten, die durch den Krieg gerade in den ärmsten Regionen der Welt entstehen, abzufedern. Es ist klar: Ohne unsere Landwirte ist das nicht möglich“, sagte die FDP-Politikerin, die sich für bessere Rahmenbedingungen einsetzen möchte. In Deutschland und Europa müsse man das hohe technische Know-how nutzen, um die Erträge zu sichern und auszubauen. „Wir sollten auch überlegen, ob wir uns wirklich den Möglichkeiten einer modernen Pflanzenzüchtungs- und Biotechnologie verschließen wollen“, sagte Schmitt. Sie setze sich auch im Bundesrat dafür ein, die von der EU eingeräumten Möglichkeiten der Nutzung von Ökologischen Vorrangflächen für den Getreide- und Eiweißpflanzenanbau und dem Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemittel umzusetzen. Die aktuelle Haltung des Bundeslandwirtschaftsministeriums, lediglich Futtermittel anbauen zu lassen, teile sie nicht: „Das passt angesichts der aktuellen Ereignisse in der Ukraine und den düsteren Ernte-Erwartungen in Europa nicht in die Zeit! Und die Zeit für die Aussaat von Sommerkulturen läuft weg.“

Gegensätzliche Positionen

Der zweite politische Schwerpunkt der Tagesordnung war der Besuch des Staatssekretärs aus dem rheinland-pfälzischen Umweltministerium, Dr. Erwin Manz. Verwundert rieben sich so manche Teilnehmer die Augen, als der Grünen-Politiker auf die Rede von Kammerpräsident Schindler reagierte. Doch der Reihe nach: Ökonomierat Norbert Schindler positionierte sich gegen die zunehmende Freiflächen-Photovoltaik, forderte die Stärkung der Biogaserzeugung und blickte auf Konzepte zur Bewässerung in Zeiten des Klimawandels. Hinsichtlich der geplanten „Naturschutzstationen“ des Landes sagte Schindler: „Wir sollten stattdessen lieber auf unseren Kooperationen aufbauen“, so der Kammerpräsident, der auch auf die besorgniserregende Lage der Tierhalter einging. „Es gibt immer höhere Auflagen, die Belastung mit Gebühren und Abgaben ist erdrückend. Die Vorschriften müssen entrümpelt werden.“

Staatssekretär Dr. Manz bedauerte die gestiegenen Kosten, das ginge „allen an die Substanz. Und der Krieg verändert alles. Aber Überflutungen, durch den Klimawandel verursacht, sind genauso verheerend.“ Man könne jetzt nur begrenzt auf alte Rezepte zurückgreifen. Dabei sei auch die Forderung nach mehr Düngung Teil des Problems. „Wir haben eine Gaskrise, und Gas wird benötigt zur Herstellung von Dünger. Das müssen wir hinterfragen – wir wollen keine Landwirtschaft basierend auf Gas-Importen aus Russland.“ Hinsichtlich der Ernährungssicherheit ist Dr. Manz überzeugt, dass die Lebensmittelverschwendung ein viel größeres Problem darstelle als die beklagte Flächenstilllegung. Der Flächenverbrauch müsse dringend eingedämmt werden, auch im Hinblick auf das Artensterben. „Wir brauchen eine resiliente und anpassungsfähige Landwirtschaft. Dabei hilft der Ausbau der ökologischen Landwirtschaft. Jeder neunte Betrieb arbeitet mittlerweile ökologisch.“ Dabei betonte der Grünen-Politiker, dass „diese Generation die Pflicht hat, Klimaneutralität zu erreichen“ und dass Landwirtschaft und Naturschutz enger kooperieren müssten.

Zur Diskussion um die Messstellen und Nitratbelastung sagte Dr. Manz zu, dass bis Ende 2024 120 neue Messstellen installiert sein sollen. Die Standortwahl solle in Kooperation mit allen Beteiligten vorgenommen werden.

Bei der anschließenden Diskussion machten die beiden Präsidenten der Bauern- und Winzerverbände Rheinland-Nassau und Rheinland-Pfalz Süd, Michael Horper und Eberhard Hartelt, klar, dass der Kontrast zwischen Landwirtschafts- und Umweltministerium nicht größer hätte sein können. „Der Krieg ist im Umweltministerium offenbar thematisch noch nicht angekommen. Viele Betriebe stellen die Tierhaltung ein, ökologisieren ihre Flächen und produzieren nicht mehr“, so Horper. Eberhard Hartelt bezog sich auf den bereits erfolgten „Schulterschluss“ zwischen Landwirtschaft und den Naturschutzverbänden: „Wir sind doch schon viel weiter! Gleichzeitig haben wir die Landesregierung mehrfach aufgefordert, uns bei den Projekten zu unterstützen. Das ist bisher nicht erfolgt.“

Mehrere Redner meldeten sich zu Wort und bezogen Stellung zum Vortrag des Staatssekretärs und machten ihrem Unmut Luft. Ob Obstbau, Tierhaltung, Ackerbau oder Grünland: Es gibt offenbar noch viel Gesprächsbedarf mit dem Umweltministerium.

Kammerbeitrag wird ab 2023 erhöht

Auf der Tagesordnung stand auch die Beschlussfassung zum aktuellen Haushalts- und Stellenplan mit Haushaltssatzung, den Kammerdirektor Dr. Markus Heil vorstellte. Die Versammlung nahm den vorbereiteten Entwurf, der ein Volumen von rund 28,6 Millionen Euro vorsieht, einstimmig an.
Ebenso beschlossen die Teilnehmenden eine Erhöhung des Kammerbeitrages: Der Hebesatz steigt von 113 Prozent auf 123 Prozent, was Mehreinnahmen von rund 600.000 Euro entspricht. Die Erhöhung tritt 2023 in Kraft. „Das war notwendig geworden, weil wir bei der Erfüllung unserer Aufgaben mit stets steigenden Kosten konfrontiert werden und keine Rücklagen mehr haben, die die Mehrkosten decken könnten“, erklärte Dr. Heil. Die Abstimmung erfolgte einstimmig und ohne Diskussionsbedarf.

Beim Tagesordnungspunkt „Ehrungen“ standen zwei verdiente Persönlichkeiten der Landwirtschaft im Mittelpunkt: Michael Prinz zu Salm-Salm erhielt für seine langjährigen Verdienste die Große Goldene Kammermedaille. Der Geehrte ist seit 1987 Mitglied der Vollversammlung und vor allem im Forstausschuss engagiert. Kammerpräsident Ökonomierat Norbert Schindler würdigte die Verdienste des Wallhäuser Winzers auf zahlreichen Ebenen. Ebenfalls geehrt wurde Regino Esch: Der Landwirt aus der Eifel erhielt die Große Silberne Kammermedaille und wurde für seine innovativen Ideen rund um Landwirtschaft und Kultur gewürdigt.

Und für die Geflüchteten aus der Ukraine wurde ebenfalls etwas getan: Die Auszubildenden im Gärtnerberuf haben Pflanzenschalen bestückt und der Vollversammlung zur Verfügung gestellt. Das sah nicht nur schön aus, sondern die Teilnehmenden konnten die Schalen gegen eine Spende erwerben. 425 Euro kamen zusammen, die nun der Soonwaldstiftung „Hilfe für Kinder in Not“ übergeben werden.