„Von Wertschätzung allein können wir uns nichts kaufen“

Eine Diskussion über Landwirtschaft aus verschiedenen Blickwinkeln: Das lieferte Tag zwei der Vollversammlung der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz. Neben Landtagspräsident Hendrik Hering war auch der zuständige Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau zu Gast, Dr. Volker Wissing.

Der Erste Kreisbeigeordnete Hans-Dirk Nies begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Vollversammlung in Vertretung von Landrätin Bettina Dickes. „Sie sind Teil der kommunalen Familie, und wir als Landkreis wissen, wo ihnen der Schuh drückt“, sagte Nies, der für mehr Respekt gegenüber den Nahrungsmittelerzeugern sprach. Die Kreisverwaltung Bad Kreuznach sei also der richtige Tagungsort für das „Parlament der Bauern, Winzer, Gärtner und Forstleute“.

Beratung, Aus- und Weiterbildung in Verbindung mit der Finanzausstattung der Kammer waren Punkte, die der Präsident der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz, Ökonomierat Norbert Schindler, in seiner Ansprache betonte. „Es ist zum Beispiel unverständlich, wieso das Land die Finanzierung des Projekts Klima Farm Bilanz abgelehnt hat. Es werden für viele andere Dinge Förderungen genehmigt, aber hier hätten die Betriebe einen echten Mehrwert.“ Bei diesem Projekt geht es um die Ermittlung individueller CO2-Bilanzen einzelner Betriebe.

Zudem seien die Lohnsteigerungen nicht bei der Finanzausstattung der Landwirtschaftskammer durch das Land berücksichtigt. Da bestehe noch Redebedarf. „Es hat mich tief beeindruckt, wie die Bauern und Winzer in den vergangenen Tagen und Wochen ihre Proteste gegen die Pläne der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht haben“, berichtete Schindler weiter, der auch bei der großen Protestfahrt der Landwirte in Neustadt vor Ort war. Klärungsbedarf sieht er vor allem bei den Punkten Umschichtung der EU-Förderung (Säule 1 und 2), dem Agrarpaket der Bundesregierung, der Düngeverordnung und dem Insektenschutzprogramm. In diesem Zusammenhang kritisierte Schindler die aus seiner Sicht nicht objektive Berichterstattung der Medien, sei es zu den Bauernprotesten oder beispielsweise der Thematik Glyphosat.

In seinem Grußwort bedankte sich Landtagspräsident Hendrik Hering für die gute Dialogkultur zwischen allen Beteiligten und nahm den Faden auf: „Trotz aller Gegensätze herrschen zwischen uns Sachkenntnis und Respekt. Dafür danke ich Ihnen.“ Hering habe ein großes Verständnis für die zahlreichen Proteste der Landwirte. „Sie wollen nichts anderes, als Ihre Arbeit unter den von der Politik gegebenen Rahmenbedingungen ordentlich zu machen. Diese Rahmenbedingungen müssen sich ändern.“ Dabei forderte er Ehrlichkeit – wer sich für Tierwohl einsetze und dafür in seinen Reden auch höhere Preise zu zahlen bereit sei, der müsse dann auch an der Ladentheke seinem Versprechen nachkommen. Zusätzlich beklagte Hering die Marktmacht der großen Konzerne: „Politik muss den Mut haben, diese Marktmacht zu brechen.“

„Wenn wir alle Medikamente verboten haben, sind wir alle gesund. Das ist Unsinn“: Mit dieser Formel verglich Landwirtschaftsminister Dr. Volker Wissing seine ablehnende Haltung gegenüber den zunehmenden gesetzlichen Regulierungen, mit welchen sich die Landwirte und Winzer konfrontiert sehen. „Wir brauchen dringend eine Versachlichung der Debatte.“ Wertschätzung sei wichtig, keine Frage: Aber man brauche doch viel eher eine Fachdebatte. „Wie können wir ein modernes Spektrum an Schutzmitteln zur Verfügung stellen, mit dem sich gute Qualität erzeugen lässt? Wir brauchen da knallharte Fakten, von Wertschätzung allein können wir uns nichts kaufen.“ Die Kirschessigfliege, als Beispiel für die Notwendigkeit von Pestiziden und Insektiziden genannt, lasse sich nicht wegdiskutieren. Ohne Pflanzenschutzmittel und Düngung werde es auch künftig nicht gehen.

Zudem beklagte der stellvertretende Ministerpräsident die mangelnde Absprache zwischen der Bundesregierung und den Agrarministerien der Länder. „Es rächt sich nun, dass die agrarpolitische Strategie der Bundesregierung ohne die Agrarminister aufgestellt wurde. Der Fehler ist, dass mangelndes Verständnis für den ländlichen Raum besteht und das dort vorhandene Wissen ungenutzt geblieben ist.“ 

Dr. Wissing sprach zahlreiche weitere Aspekte an, die den Landwirten, Winzern, Gärtnern und Forstleuten unter den Nägeln brennen und sagte in der folgenden Diskussion zu, sich weiterhin für die Belange einzusetzen. Großen Applaus erhielt der Minister zum Abschluss seiner Rede, als er betonte: „Landwirtschaft, Industrie und Handelspolitik müssen zusammen gedacht werden.“

Zum Abschluss der zweitägigen Vollversammlung präsentierte Dr. Michael Ochse, Präsident des POLLICHIA e.V., einen Vortrag zum Thema „Artenvielfalt innerhalb landwirtschaftlicher Nutzungen“. Dr. Ochse zeigte verschiedene Möglichkeiten auf, wie durch eine reduzierte, abgestimmte Flächennutzung die Erhaltung der Artenvielfalt unterstützt werden kann und zeigte Potenziale im landwirtschaftlichen Alltag dazu auf.

Präsident Schindler will Anfang Januar 2020 zu einem Treffen mit Vertretern aller beteiligten Gruppen einladen, um Vorschläge für die Agrarpolitik der Bundesregierung zu erarbeiten. „Wir sind nun an der Reihe, konkrete Maßnahmen vorzuschlagen. Dazu hat uns die Bundesregierung aufgefordert, und dem kommen wir nach.“

Kammervizepräsident Metternich bedankte sich abschließend bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, den Rednern und Diskutanten der 55. Vollversammlung und versprach, dass die Themen weiter angepackt werden. Seine Schlusswort beendete er mit dem Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Organisation der zweitägigen Veranstaltung.