Die Sache mit den "roten" Grundwasserkörpern

„Rote“ Grundwasserkörper, Düngeverordnung, Nitratbelastung: Diese und viele andere Begriffe spielen eine große Rolle in den oftmals emotional geführten Diskussionen rund um die Landwirtschaft. Umso wichtiger ist es, den Überblick zu behalten und sachlich zur Debatte beizutragen.

„Man muss festhalten: Die weit überwiegende Zahl der Landwirte hat sich mit ihren Düngemaßnahmen stets an die geltenden gesetzlichen Vorgaben sowie staatlichen Beratungen gehalten. Es wurde nicht willkürlich Dünger ausgebracht“, betont Ralph Gockel, Referatsleiter Raumordnung bei der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz. „Die Diskussion, die mit den drohenden Strafzahlungen an die EU begann und in eine erneut verschärfte Düngeverordnung münden soll, ist sehr vielschichtig. Da ist vieles schief gelaufen“, sagt Fachmann Gockel.
Ein Blick auf die Fakten: Jede Pflanze braucht Stickstoff, um zu wachsen und am Leben zu bleiben. Stickstoff ist ein zentraler Baustein des Lebens, für Mensch und Tier, insbesondere aber für Pflanzen und unsere landwirtschaftlichen Kulturen. Zur Sicherstellung ausreichender Erträge und guter Qualitäten, etwa beim Backweizen, müssen Landwirte mineralischen Stickstoff ausbringen – ohne Düngung keine Ernte. Im Boden kann Stickstoff zu Nitrat umgewandelt werden, damit wird der Nährstoff verfügbar für die Pflanzen.
Allerdings ist die Nitratbelastung des Grundwassers in Deutschland zu hoch. Oftmals verursacht durch eine zu hohe Viehdichte, wobei dieses Problem in Rheinland-Pfalz nicht besteht. Nitrat an sich ist kein Problem, allerdings kann Nitrat in Nitrit umgewandelt werden, was gesundheitsschädlich ist. Bei Säuglingen etwa kann Nitrit zu Sauerstoffmangel in Organen führen. Nitrosamine, die sich bei Erwachsenen im Magen aus Nitrit bilden können, gelten als krebserregend.

EU droht Strafgelder an

Die EU hat Deutschland immer wieder auf die zu hohe Nitratbelastung des Grundwassers auch durch Überdüngung hingewiesen. Nun wurde Deutschland von der EU verklagt – wegen wiederholten Verstoßes gegen die EU-Nitratrichtlinie. Die Bundesregierung erließ 2017 eine Düngeverordnung, die innerhalb dieser kurzen Zeit aus Sicht der EU noch keine ausreichende Wirkung entfaltet. Daher drohen Deutschland Strafgelder in Höhe von bis zu 850.000 Euro. Pro Tag. Das hat zur jetzt geplanten Verschärfung der Düngeverordnung geführt, die unter anderem eine pauschale Reduzierung der Düngemaßnahmen um 20 Prozent vorsieht.
Natürlich steht die Nitratbelastung des Grundwassers in Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Nutzung des Bodens. In Rheinland-Pfalz stehen fünf landwirtschaftliche Nutzungsarten im Mittelpunkt, bei welchen Düngung notwendig ist, um gute Ergebnisse zu erzielen: Grünlandnutzung, Ackerbau, Weinbau, Obstbau, und Gemüseanbau. Während bei den vier erstgenannten Arten keine bis geringe Nitratüberschüsse im Boden entstehen, sieht es beim Gemüseanbau anders aus, weiß Fachmann Gockel: „Während die Pflanze sich mitten in der Wachstumsperiode befindet, wird geerntet. Stickstoff- und Phosphatgabe sorgen beispielsweise für schöne, satt-grüne Salatköpfe. Auch die Erntereste tragen dann noch den Dünger in sich und geben ihn an den Boden ab.“

Anteil anderer Verursacher klären

Ein grundlegendes Problem dabei ist aber, dass die zu hohen Belastungen aus den vergangenen Jahrzehnten stammen können und nicht durch kurzfristige Maßnahmen zu beheben sind. Dazu Ralph Gockel: „Wenn vor beispielsweise 30 Jahren nach heutigem Wissen zu viel gedüngt wurde und der Landwirt mit seinem aktuellen Düngeverhalten nicht zur Verschlechterung des Grundwassers beiträgt – wieso soll er dann jetzt 20 Prozent weniger düngen dürfen?“ Zudem ist nicht geklärt, welchen Anteil Verursacher haben, die nicht zur Landwirtschaft gehören, etwa undichte Kanalisationen.
Um die Zusammenhänge zwischen landwirtschaftlicher Nutzung und Nitratbelastung messbar zu machen, hat man sich dazu entschieden, die sogenannten Grundwasserkörper und deren Messstellen als grundlegende Systematik zu nutzen. Warum etwas Neues etablieren, wenn es die EG-Wasserrahmenrichtlinie gibt? Um die Qualität des Grundwassers nach dieser Rahmenrichtlinie zu überprüfen, wurden in Rheinland-Pfalz 117 Grundwasserkörper definiert. Darin sind Gebiete von 50 bis 500 Quadratkilometern Fläche enthalten. Die Daten aus diesen Grundwasserkörpern werden von einem Messstellennetz erfasst. Und da gibt es erhebliche Probleme.

Messstelle 10 Kilometer entfernt

Ein Beispiel aus der Praxis macht deutlich, welche Auswirkungen diese Systematik haben kann. Johannes Thilmann aus Spabrücken (Kreis Bad Kreuznach) bewirtschaftet einen Betrieb mit 130 Hektar Ackerbau und 80 Hektar Grünland inklusive Viehhaltung (170 Milchkühe). Sein Land liegt auf dem Gebiet eines „roten“ Grundwasserkörpers, also mit zu hoher Nitratbelastung. „Für unsere Gegend ist eine Messstelle verantwortlich, die 300 Meter tiefer und in etwa 10 Kilometer Luftlinie Entfernung liegt, nämlich in Weinsheim. An bundesdeutschen Verhältnissen gemessen, betreiben wir in Spabrücken eine extensive Tierhaltung mit weniger als einer Kuh pro Hektar“, sagt Thilmann, der nach jetzigem Stand, sollte die Düngeverordnung so verabschiedet werden, 20 Prozent weniger düngen darf. „Hätten wir hier oben eine hohe Nitratbelastung und die Weinsheimer auch, könnte man einen Zusammenhang herstellen. Aber weil die Weinsheimer im Tal mit völlig anderen Böden schlechte Werte haben, soll das auch für uns auf dem Berg gelten: Das kann doch nicht sein.“
Zur Skepsis des Landwirts trägt außerdem bei, dass der Grundwasserkörper ausgerechnet an der Verbandsgemeindegrenze enden soll. Die VG Rüdesheim liegt auf rotem Gebiet, die angrenzenden Dörfer der VG Stromberg, wie Dörrebach und Seibersbach, haben keine Probleme. Für Thilmann, der auch Kreisvorsitzender des Kreisverbandes an Nahe und Glan im Bauern- und Winzerverband Rheinland-Nassau e.V. ist, stelle das den „Einstieg in eine Abwärtsspirale“ dar. Denn der Düngebedarf orientiert sich am Vorjahresertrag. Wenn Johannes Thilmann nun 20 Prozent weniger düngen darf, bedeutet das bei seinen ärmeren Böden deutliche Ertragseinbußen. Und geht der Ertrag runter, fällt auch der Düngebedarf im Folgejahr und so weiter. Irgendwann sei dann Schluss mit dem Betrieb. Am meisten ärgern den Landwirt allerdings die gegenseitigen Schuldzuweisungen der zuständigen Politiker. „Landwirtschaftsministerin Klöckner hat die Systematik mit den Grundwasserkörpern ausgewählt, das Land bestimmt deren Zuschnitt. Und gemeinsam zeigt man auf die EU.“

Existenzen werden gefährdet

Die Reform der Düngeverordnung bringt weitere Verschärfungen mit sich. So soll die Sperrfrist der Düngeaustragung verändert werden. Im September ist es noch erlaubt, im Oktober nicht mehr. „Da ist das beste Wetter zum Ausbringen. Im Februar dürfen wir wieder fahren, aber da ist es auf den Wiesen und Äckern viel zu nass!“, sagt Thilmann kopfschüttelnd. Man stehe zu seiner Verantwortung, macht Thilmann klar, und man trage vieles mit. „Aber mit den aktuellen Planungen kommen wir nicht klar, das gefährdet unsere wirtschaftliche Existenz.“
Was sind nun die dringendsten Probleme, die angegangen werden müssen? „Zunächst muss man die Messstellen überprüfen und eine Binnendifferenzierung zulassen“, so Ralph Gockel. Binnendifferenzierung bedeutet, dass innerhalb der großen Grundwasserkörper kleinteiliger kontrolliert wird. „Das könnten die Landwirte sogar selbst machen. Aber es gibt zu wenige Labore, und die Wartezeit auf die Werte beträgt bis zu einem halben Jahr. Außerdem muss die Datenlage aktualisiert werden. Die Datengrundlage, die den Landwirten zur Verfügung steht, stammt aus den Jahren 2006 bis 2012“, so Gockel.
Für Landwirte wie Johannes Thilmann ist die Lage verzwickt. Sie befinden sich im Spannungsfeld zwischen Politik, Umweltschutz und dem Markt, der beste Qualitäten zu hart kalkulierten Preisen verlangt. „Ich hoffe, dass endlich eine Lösung dieses Problems gefunden wird. Und zwar zeitnah mit allen Beteiligten.“