„Wir brauchen an jeder Milchkanne 5G!“

Am ersten Tag der 54. Vollversammlung der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz (LWK RLP) stand die Rede von Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, im Mittelpunkt. Kammerpräsident Ökonomierat Norbert Schindler freute sich sehr, Klöckner zu ihrem Heimspiel in der Kreisverwaltung Bad Kreuznach zu begrüßen.

Schindler wollte von Klöckner unter anderem wissen, wie es beim Thema betäubungslose Ferkelkastration weitergehe und welche Möglichkeiten die Zuckerrübenbauern nach dem Verbot der Neonicotinoide hätten. Außerdem sprach er das Thema Nahrungsmittelproduktion in der EU an. „Bei der EU-Vergabepraxis von Agrarsubventionen spielen Sozialstandards wie Arbeitsrecht und Mindestlöhne keine Rolle. Das muss sich dringend ändern“, so Schindler. „Es kann nicht sein, dass landwirtschaftliche Betriebe, die Gastronomie oder die Bauwirtschaft in Deutschland scharf kontrolliert werden und den Mindestlohn einzuhalten haben, diese Standards aber in südeuropäischen Ländern wie Italien und Spanien überhaupt keine Rolle spielen.“ Diese Problematik spürten auch die Erzeuger in Rheinland-Pfalz.
Julia Klöckner machte deutlich, dass Verbraucher und Landwirte frei von Ideologie und Schuldzuweisungen miteinander ins Gespräch kommen müssten. „Mir ist es ganz wichtig, auf einer Basis von Fakten zu diskutieren. Die Qualität eines Argumentes hat nichts mit der Lautstärke oder der Anzahl der Unterschriften zu tun“, betonte die Ministerin. Daher setze ihr Ministerium stark auf den Bereich Wissenschaft und Forschung.
Großen Redebedarf sieht Julia Klöckner auch bei der Gleichbehandlung von Stadt und Land. „Hier will ich keine Neid-Debatte führen. Es kann jedoch nicht sein, dass Menschen, die in der Stadt wohnen, den Wolf oder Windräder befürworten, aber nicht vor ihrer Tür, sondern auf dem Land.“
Außerdem könne es nicht angehen, dass es ein Deutschland der zwei Geschwindigkeiten gebe. Auch und gerade in ländlichen Räumen sei schnelles Internet unabdingbar. „Wir brauchen an jeder Milchkanne 5G! Daher habe ich mich intensiv in die Diskussion um die Einführung der neuen 5G-Technik eingebracht“, informierte sie. Die Technik könne nicht von heute auf morgen realisiert werden. „Die Umsetzung muss aber auf jeden Fall unser Ziel sein!“ „Precision Farming“ – ein landwirtschaftliches Konzept für neue Produktions- und Managementtechniken, die intensiv Daten über den jeweiligen Standort und Pflanzenbestand nutzen – sei mit ein Weg aus der Ideologiefalle. Wichtig sei jedoch auch, dass die Bundesländer die vom Bund bereitgestellten Mittel auch abriefen.  

Tierwohl und Wirtschaftlichkeit in Einklang bringen
Klöckners feste Überzeugung ist es, dass man nur durch eine Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) eine zukunftsfähige Agrarwirtschaft in Europa erhalte. „Hier sehe ich einen erheblichen Nachbesserungsbedarf bei der Entbürokratisierung.“ Außerdem könnten die ambitionierten Ziele der GAP nur mit einer ausreichenden Finanzierung erreicht werden. „Man darf nicht einerseits immer mehr öffentliche Leistungen von den Bäuerinnen und Bauern einfordern, während man ihnen andererseits die öffentlichen Mittel kürzt. Das geht nicht!“ Klöckner betonte, dass sie sich dafür einsetze, dass das Haushaltvolumen hier gleich bleibe und nicht wie geplant gekürzt werde.
Einsetzen möchte sie sich auch für eine stärkere Ausrichtung an Umwelt-, Klima- und Naturschutzbelangen sowie an Belangen des Tierwohls. „Wir müssen Tierwohl und Wirtschaftlichkeit in Einklang bringen. Es ist zum Beispiel mein Ziel, dass die Ferkelerzeugung zu wirtschaftlich guten Rahmenbedingungen in Deutschland eine Zukunft hat“, sagte Klöckner. Sie unterstütze die Fristverlängerung der betäubungslosen Ferkelkastration. Gleichzeitig setze ihr Ministerium alles daran, die Alternativen zu praxistauglichen Lösungen weiterzuentwickeln. Die Zulassung von Isofluran für die Betäubung wurde bereits durch das zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erteilt. „Damit dies in der Praxis erfolgreich durchführbar wird, werden wir in den kommenden zwei Jahren Schulungs- und Aufklärungsmaßnahmen für Landwirte mit 16 Millionen Euro fördern. Außerdem werden wir mit 22 Millionen Euro die Anschaffung der notwendigen Narkosetechnik für Landwirte unterstützen.“  
Julia Klöckner richtete einen Appell an die Mitglieder der Vollversammlung: „Öffnen Sie sich noch viel stärker und gehen Sie in die Diskussion mit Verbrauchern und Journalisten. Gehen Sie proaktiv nach vorne und reden Sie mit den Menschen darüber, was für eine Landwirtschaft wir brauchen und was sie uns wert ist.“
Schindler dankte Klöckner im Namen des Berufsstandes ausdrücklich für die Entfristung der 70-Tage-Regelung für eine sozialversicherungsfreie Beschäftigung. Gerade in Rheinland-Pfalz, wo sehr viele Sonderkulturen angebaut werden, sei die Verlängerung eine enorme Erleichterung für die Bauern und Winzer. 

Umsatzsteuerproblematik weiter großes Thema
In seiner Rede ging der LWK-Präsident auf die Situation der Kammer ein. „Uns beschäftigt weiterhin das Thema Umsatzsteuer“, so Schindler. „Sowohl das von der Kammer beauftragte Wirtschaftsprüfer-, Steuerberater- und Rechtsanwaltsbüro als auch ein renommierter Professor kommen zum Ergebnis, dass die Prämierung für Wein und Sekt umsatzsteuerfrei ist, während die Beratungsleistungen und die Verbandsbetreuung im Wesentlichen umsatzsteuerpflichtig sein sollen“, führte der Präsident aus. Das Finanzamt Bad Kreuznach hingegen stuft auch die Prämierung als umsatzsteuerpflichtig ein. Auf eine Nachforderung von den an der Prämierung teilnehmenden Betrieben hat die Kammer wegen der Rechtseinschätzung für das Jahr 2014 verzichtet. „Da das Finanzamt an seiner Rechtsauffassung zur Prämierung festhält, müssen wir aber für das Jahr 2015 auch von den Prämierungsbetrieben die Umsatzsteuer nachfordern. Dies gebietet die Vermögensfürsorge, die dem Vorstand obliegt. Die entsprechenden Bescheide werden in der kommenden Woche verschickt“, erläuterte Schindler.
Gegen den Schätzbescheid des Finanzamtes für 2010 hat die LWK Einspruch eingelegt. Darüber gelte es nun zu entscheiden.  Die Umsatzsteuerproblematik hat enorme Auswirkungen auf die Finanzierung der Kammer. Der Jahresabschluss 2017 ist dadurch enorm belastet und auch das Ergebnis 2018 wird sehr davon beeinflusst sein. „Bei diesem Thema erwarten wir die Unterstützung des Landes“, betonte Schindler. 

In den vergangenen Monaten hat außerdem das Thema der Beratung einen großen Raum in der Kammer eingenommen, was Wilhelm Zimmerlin, Leiter der Abteilung Landwirtschaft bei der LWK, in seinem Vortrag darlegte. Das Land beschleunigt die Privatisierung der einzelbetrieblichen Beratung. Deshalb gab es vor kurzem eine europaweite Ausschreibung der betriebswirtschaftlichen Beratung. „Hierfür hat sich die Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz beworben und den Zuschlag erhalten“, so Zimmerlin. Die Kammer ist dabei der größte Beratungsdienstleister und bietet als einzige Organisation kompetente Beratung in allen förderfähigen Fachbereichen an. Für Betriebe ist es sehr unkompliziert, die geförderte Beratung in Anspruch zu nehmen. Die Mitarbeiter der Landwirtschaftskammer übernehmen sämtlichen administrativen Aufwand. Gerade erst hat die Kammer ihre Unternehmensberatung in vier Beratungsteams neu aufgestellt. Diese sind an vier Standorten angesiedelt, sodass das komplette Bundesland abgedeckt ist.
Außerdem standen am ersten Tag die Genehmigung außer- und überplanmäßiger Haushaltsausgaben 2017, die Jahresrechnung 2017, die Prüfung der Jahresrechnung 2017, die Genehmigung des Haushalts- und Stellenplanes 2019, die Änderung der Gebührensatzung sowie die Ehrung langjähriger Vollversammlungsmitglieder auf der Tagesordnung.