Ungepflegt? Nein!

Im Weinberg dichtes Laubwerk, vielfach verzweigte Reben und das Anfang Juni, noch vor der Blüte? Die Vermutung, dass es sich hier um einen ungepflegten oder gar aufgegebenen Weinberg handelt, scheint zunächst nahe zu liegen.

Tatsächlich aber sind dies meist Weinberge, bei denen der winterliche Rebschnitt nicht vergessen, sondern bewusst unterlassen wurde. Minimalschnitt heißt eine Bearbeitungstechnik, die auch in Rheinland-Pfalz immer mehr Anhänger und vor allem auch Anwender findet.

Bislang galt die sogenannte Spaliererziehung der Reben im Drahtrahmen mit konsequentem Rebrückschnitt auf eine oder zwei Leitruten, die im Frühjahr gebogen und an den Führungsdraht gebunden werden, als Standard und abgesehen von der Einzelpfahlerziehung in extremen Steillagen verbreitet in allen Anbaugebieten. Der Minimalschnitt, der konsequenterweise eigentlich Nichtschnitt heißen müsste, verzichtet auf diese konventionelle Rebenerziehung völlig. Die wird auf den üblichen Laubschnitt reduziert.

Neben dem ökonomischen Vorteil, der im wesentlichen in einer beträchtlichen Energie- und Arbeitszeitersparnis besteht, verspricht die Minimalschnittmethode Qualitätssteigerung durch eine lockere Traubenstruktur, kleine Beeren, längere Reifezeiten, geringere Anfälligkeit gegen Sonnenbrand, Hagel und Infektionskrankheiten. Was Pilzkrankheiten angeht, muss beim Minimalschnitt durch die Gefahr der Laubwandverdichtungen aber mindestens genauso aufgepasst und gegebenenfalls behandelt werden wie im Normalschnitt. Auf die Bekämpfung von Schadinsekten kann weitgehend verzichtet werden, während die Ansiedlung von Vögeln, Raubmilben und anderen Nützlingen im Weinberg auf natürliche Weise zunimmt. Die Bekämpfung des Traubenwicklers muss allerdings auch bei Minimalschnitt erfolgen, z.B. mit Pheromonen. Entscheidende Bedeutung bei dieser Anbautechnik erhält die konsequente Ertragsreduzierung, mit der eine Überlastung der Rebstöcke, Nährstoffmangel  und vor allem ein mit zu hohen Erträgen verbundener Qualitätsverlust, der zu ausdrucksschwachen, wenig aromatischen, dünnen Weinen führt, vermieden wird. Abgesehen von einem Restrisiko, das in längeren Reifezeiten und entsprechend später Lese besteht, sehen viele Winzer im Minimalschnitt eine ökonomisch überlegene und eine ökologisch mit dem Normalschnittsystem zumindest gleichwertige Alternative.