Präsident Norbert Schindler zum Erntedankfest 2012

Sehr geehrte Landwirte, Winzer, Landfrauen, Landsenioren und Landjugendliche,

 

am kommenden Wochenende feiern wir Erntedank.

Dies möchte ich zum Anlass nehmen, daran zu erinnern, dass die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit gesunden, günstigen Nahrungsmitteln keinesfalls selbstverständlich ist. Auch in unserem Jahrhundert gibt es leider immer noch Menschen in einigen Staaten der Erde, die hungern müssen. Die Gründe dafür sind in der Regel Korruption und Bürgerkriege. Was mich in diesem Zusammenhang ärgert, sind die ständigen Schuldzuweisungen hierzu an uns Landwirte. Sind die Getreidepreise wie in den vergangenen Jahrzehnten niedrig, sollen wir Landwirte für den Hunger in der Welt verantwortlich sein, da die Industriestaaten angeblich die Entwicklungsländer mit Lebensmitteln zu Dumpingpreisen beliefern, so dass sich die eigene Produktion nicht lohnt. Sind die Getreidepreise hingegen wie in diesem Jahr für uns zufriedenstellend, sollen wir wiederum am Hunger in der Welt schuld sein, da sich die Menschen in den Entwicklungsländern die teuren Nahrungsmittel nicht mehr leisten können. Die Argumentation wird dabei regelmäßig so gewählt und gedreht, wie es gerade passt.

Gleichzeitig führen wir aktuell ebenfalls wieder einmal die „Teller oder Tank“ – Diskussion, zu der sich ebenfalls jeder selbst berufene Experte in Zeiten steigender Getreidepreise äußern muss, obwohl nur 6 Prozent der Getreideernte weltweit für die Biotreibstoffproduktion verwendet werden. Hierzu hat auch die EU-Kommission vor wenigen Tagen einen Richtlinienentwurf vorgelegt, der jeder fachlichen Grundlage entbehrt. Die aktuellen Pläne würden zu einer erheblichen Benachteiligung von Biokraftstoffen aus nachhaltiger europäischer Erzeugung führen, etwa bei Biodiesel aus Raps. Demgegenüber würden Importe ungerechtfertigt begünstigt, vor allem solche aus vermeintlichen Abfallstoffen aus Drittländern. Ich habe mich daher bereits in einem Schreiben mit der Forderung an die Verantwortlichen gewendet, den Richtlinienentwurf umgehend zu stoppen.

Wer sich sachlich mit dem gesamten Themenkomplex auseinandersetzt, stellt rasch fest, dass die diesjährigen Getreidepreise gerade wieder auf dem Niveau von vor 30 Jahren angekommen sind. Darüber hinaus gab es auch vor der Mechanisierung der Landwirtschaft eine Art Anbau für Biotreibstoffe, denn auch die Zugpferde wollten gefüttert werden.

Die Backwarenhersteller haben in diesem Jahr wieder einmal angekündigt, die Brotpreise aufgrund der gestiegenen Getreidepreise anheben zu müssen. Eine Frechheit, wenn man bedenkt, dass der Getreideanteil in einem Brötchen einen Wert von rund 1 Cent hat. Der Getreidepreis müsste sich also verdoppeln, um eine Preiserhöhung von 1 Cent auszulösen – dies stellt wohl keine stichhaltige Begründung für eine Preiserhöhung von Backwaren dar. Darüber hinaus warte ich seit Jahren immer sehr gespannt auf die Preissenkung, wenn die Getreidepreise fallen. Leider konnte ich diesen Preisrückgang bei Backwaren bis heute nicht ein einziges Mal beobachten.

Gesunde Nahrungsmittel waren nie so günstig wie heute. Um 1900 mussten die Menschen 57 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben. Heute gerade noch 14 Prozent. Auch in den vergangenen Jahrzehnten bremsten die Lebensmittelpreise regelmäßig die Inflation. 1970 musste ein durchschnittlicher Arbeitnehmer für 1 kg Rindfleisch zum Kochen 72 Minuten arbeiten, heute gerade noch 27 Minuten. Für 250 g Butter musste ein Arbeitnehmer damals 22 Minuten arbeiten, heute noch 4 Minuten. Für ein kg Schweinekotelett arbeitete ein Durchschnittsarbeitnehmer 1970 noch 96 Minuten, heute gerade noch 22 Minuten. Leider ist das Bewusstsein, mit welchem Aufwand diese hochwertigen Lebensmittel erzeugt werden, immer mehr in den Hintergrund gerückt. Hinzu kommt, dass viele Menschen leider heute nicht mehr in der Lage sind, eine schmackhafte Mahlzeit mit Grundnahrungsmitteln zuzubereiten. Wir dürfen daher alle gemeinsam nicht nachlassen, über unsere tägliche Arbeit, die wir seit Jahrhunderten im Einklang mit der Natur durchführen, aufzuklären.

Doch lassen Sie uns trotz diverser fachlich zweifelhaft geführten Diskussionen gemeinsam für die diesjährige Ernte danken. Die Witterung des abgelaufenen Jahres hat uns viel abverlangt. Spätfröste im Frühjahr führten zu Auswinterungsschäden bei Getreide und Zuckerrüben. Viele Bestände mussten umgebrochen werden. Im Obst- und Weinbau gab es z. T. ebenfalls irreparable Frostschäden und in einigen Regionen Ausfälle durch Hagelunwetter. Insgesamt sind die Ernteergebnisse erfreulicherweise deutlich besser als ursprünglich erwartet. Gleichzeitig sind für uns Landwirte nicht nur die Preise, sondern auch die Kosten, in allen Bereichen vom Ackerbau bis zur Viehhaltung,  deutlich angestiegen.  Freude bereitet uns in diesem Jahr der Weinbau, hier erwarten wir einen guten Jahrgang, auf den wir stolz sein können. Auch die Gemüsesaison verlief nach diversen Krisensituationen in den vergangenen Jahren in diesem Jahr zufriedenstellend.

Trotz einer höheren Kostenbelastung der Landwirte planen Bund und Länder derzeit die Fördergrundsätze der GAK (Gemeinschaftsaufgabe für Agrarstruktur und Küstenschutz) zu überarbeiten, den Grundsatz für gemeinschaftliche Beregnungsinvestitionen zu streichen und im Bereich Tierhaltung nur noch in den Fällen eine Förderung zu gewähren, sofern der Anhang für besonders artgerechte Tierhaltung, der ebenfalls nochmals verschärft werden soll, eingehalten wird. Damit soll es künftig keine Regelförderung in der Tierhaltung mehr geben. Ich werde mich persönlich in Mainz und Berlin für die Beibehaltung der für Rheinland-Pfalz wichtigen Fördergrundsätze einsetzen.

Was mir außerdem weiterhin große Sorgen bereitet, sind die Vorschläge der EU-Kommission zur Ausrichtung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik. Die hierin enthaltenen Vorschläge zum Greening und der Ausweisung ökologischer Vorrangflächen sind nicht nur bürokratisch kaum zu beherrschen, sondern vor dem Hintergrund eines steigenden Nahrungsmittelbedarfs der Weltbevölkerung in den kommenden Jahren kontraproduktiv. Wir haben uns massiv gegen die Greening-Auflagen und die darin enthaltenen ökologischen Vorrangflächen ausgesprochen und werden uns – nicht nur in dieser Frage - weiterhin einsetzen. Darüber hinaus haben wir uns gegen die Errichtung von Photovoltaik auf Ackerflächen ausgesprochen, da der Landwirtschaft hiermit wertvolle Flächen für die Nahrungsmittelproduktion verloren gehen.

Wir können alle gemeinsam nicht oft genug daran erinnern, mit wie viel Mühe und Arbeit die heimischen Landwirte und Winzer dafür sorgen, dass immer genügend Getreide, Obst, Gemüse, Kartoffeln, Zucker, Milchprodukte, Fleisch, Eier sowie eine Vielfalt exzellenter Weine für die heimischen Verbraucher in hervorragender Qualität zu günstigen Preisen zur Verfügung stehen. Lassen Sie uns daher gemeinsam anlässlich des diesjährigen Erntedankfestes mit Gottes Segen für die diesjährige Ernte danken.

Ihr

Ökonomierat Norbert Schindler, MdB
Präsident der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz