Mit digitaler Technik den ländlichen Raum lebenswert erhalten

Die Weiterentwicklung der digitalen Technik wird immer mehr alten Menschen ermöglichen, lange in der eigenen Wohnung zu leben. - Dieses Fazit zogen die Teilnehmenden des Seminars in Hochspeyer, das die LandFrauen RheinlandPfalz in Kooperation mit der Agrarsozialen Gesellschaft Göttingen e.V. anboten.

Bei der zweitägigen Weiterbildung für haupt- und ehrenamtlich Engagierte wurden digitale Projekte vorgestellt, die im Rahmen der Gesundheitsprävention, des sozialen Austauschs und der Digitalisierung der Dörfer zukunftsweisend sein können. „Ohne Digitalisierung ist der Wandel in unseren Dörfern nicht zu bewältigen“, betonte Ökonomierätin Ilse Wambsganß, Präsidentin des LandFrauenverbandes Pfalz, bei der Begrüßung. „Durch die Kooperation mit der Agrarsozialen Gesellschaft ist es wieder gelungen, hochkarätige Referentinnen und Referenten in unser Seminar zu bringen.“
Gesundheit und Prävention im Mittelpunkt
Besonderes Interesse erregte das Projekt Mambo des regionalen Gesundheitsnetzwerks Leverkusen e.V.. Hier werden Patienten, die an mehreren chronischen Krankheiten leiden bzw. zahlreiche Medikamente benötigen, ambulant unterstützt. Finanziert wird das Projekt aus dem Innovationsfonds der Bundesregierung. Ziel ist es, neue Versorgungsstrukturen, die Ärzte und Patienten gleichermaßen unterstützen, aufzubauen, die Ärzte von nichtärztlichen Leistungen zu entlasten und die Alltagssituation der Patienten zu stabilisieren. „Bei Patienten mit mehreren chronischen Erkrankungen treten vermehrt nicht medizinische Fragen auf,“ hat Projektleiterin Fabiola Fabian festgestellt. Teilnehmende Ärzte motivieren ihre Patienten, sich ins Projekt einzuschreiben. Eine Krankenschwester mit Zusatzqualifizierung besucht diese Patienten daheim. „Wir bieten Zuhörzeit für die Menschen an und erfahren, was sie benötigen und was sie wollen für ihren Alltag. Da uns die Diagnosen der Ärzte und die Medikamentenpläne vorliegen, können wir sowohl die regelmäßige Einnahme der Medikamente überwachen als auch Veränderungen des Gesundheitszustandes frühzeitig erkennen“, so Krankenschwester Rita Knieper. „Durch unsere regelmäßige Rückmeldung erhalten die Ärzte ein Bild, wie sich der Gesundheitszustand ihrer Patienten entwickelt.“ Die Anzahl der notwendigen Arztbesuche konnte gesenkt werden, weil die Krankenschwestern die Patienten auch im Umfang mit ihren Hilfsmitteln, beispielsweise im richtigen Inhalieren, unterweisen. Die Patientenakte wird elektronisch geführt. Der Patient entscheidet, welche Informationen des Hausbesuches dokumentiert werden.
Auch das Projekt StuDI soll es alten Menschen ermöglichen, möglichst lange selbstbestimmt im vertrauten Umfeld zu leben. Svenja Polst, Fraunhofer IESE Kaiserslautern, berichtete, wie durch Bewegungssensoren und ein spezielles Tablet der Alltag sicherer gestaltet werden kann. In der Testregion Trier-Bitburg nehmen 93 überwiegend allein lebende Personen am Projekt teil. „Der Sensor verständigt automatisch den Hausnotruf, sobald eine gewisse Zeit keine Bewegungsaktivitäten aufgezeichnet wurden“, erläuterte Svenja Polst. Die Teilnehmenden berichten von einem erhöhten Sicherheitsgefühl.
Prof. Dr. Rainer Zotz, Marienhausklinikum Bitburg, stellte das Projekt „EHeR versorgt“ vor, das durch Telemonitoring und Telemedizin eine hochwertige Versorgung von Patienten mit Herzinsuffizienz sicher stellen soll. „EHeR versorgt“ wurde im Rahmen der Initiative „Gesundheit und Pflege 2020“ gegründet und ist mittlerweile abgeschlossen. Die teilnehmenden Patienten übermittelten ihre Daten wie Gewicht und Blutdruck an ein Telemedizinzentrum in Kaiserlautern. Dort überprüften Fachkräfte die Daten und konnten telefonisch veranlassen, dass der Patient die Medikation ändert bzw. direkt ein Krankenhaus aufsuchen sollte. Prof. Zotz stellte auch weitere aktuelle Entwicklungen vor: „Mittlerweile gibt es Armbänder, über die ein Vorhofflimmern des Herzens frühzeitig erkannt und dadurch rechtzeitig behandelt werden kann. Damit können schwere Herzinfarkte vermieden werden.“ Eine andere Studie zeigte, dass Fitnesstracker (Fitnessuhren) keinen positiven Einfluss auf ein gesundheitsförderndes Verhalten oder die Verbesserung von Blutwerten haben. „Es fehlt die Eigenmotivation der Patienten“, so Prof. Zotz.
Digitale Vernetzung in den Dörfern
Unterschiedliche Möglichkeiten der digitalen Vernetzung im Dorf bildeten den Schwerpunkt der Referentinnen Petra Swonke, gotomedia, und Julia Schauermann, Verbandsgemeinde Göllheim.
Crossiety ist eine digitale App aus der Schweiz, die einem Dorf ermöglicht, dass sich alle Bewohner/innen vernetzen. Auf einem digitalen Dorfplatz werden Veranstaltungstermine und Nachrichten eingestellt sowie Gruppen gebildet. Es könne sich alle sozialen Gruppen des Dorfes beteiligen. Auch geschlossene Gruppen, z.B.  für einzelne Schulklassen, sind möglich, auf die nur Lehrkräfte, Eltern und Schüler Zugriff haben. „Die Anmeldung zur App muss mit Klarnamen erfolgen“, betonte Petra Swonke. „Dadurch wird verhindert, dass Mobbing und verbale Angriffe stattfinden.“
Die Verbandsgemeinde Göllheim beteiligt sich mit ihren 13 Ortsgemeinden am Projekt ‚Digitale Dörfer‘, dass mit dem Ziel gestartet wurde, digitale Lösungen für die Herausforderungen des Lebens in ländlichen Räumen zu erarbeiten. Julia Schauermann berichtete über die praktische Umsetzung und Nachfrage seitens der Einwohner. Es stehen unterschiedliche digitale Plattformen zur Verfügung. Beispielsweise können regionale Geschäfte und Bauernhöfe ihre Angebote und Produkte, die online bestellt werden können, in der BestellBar auflisten. „Die online-Bestellungen werden kaum  nachgefragt. Hier ließe sich das Angebot aber trotzdem nutzen. Wenn ich weiß, dass in meiner Region ein Produkt vorrätig ist, das ich kaufen will, so kann ich direkt dort hinfahren, spare weitere Wege und kann die regionale Wirtschaft unterstützen. Das Einpflegen und Aktualisieren der eigenen Angebote erfordert allerdings einiges an Zeit. Daher wird diese Möglichkeit von den Händlern bisher wenig genutzt, “ hat Julia Schauermann festgestellt. Die App der LieferBar kann als flexibler Mitbringdienst dienen. Bewohner bringen ehrenamtlich auf ihren Wegen von oder zur Arbeit etwas für andere mit. In die DorfNews stellen Verwaltung, Kirchen, Vereine, Büchereien usw. ihre eigenen Beiträge ein. Den DorfFunk gibt es auch als App zur Kommunikation in der Nachbarschaft. Hier wird Hilfe nachgefragt und angeboten, es wird geplauscht oder es bilden sich Gruppen zu bestimmten Themen.
Ältere Menschen an die digitalen Möglichkeiten heran führen
Ohne Vorkenntnisse fällt es häufig schwer, sich in der digitalen Welt zurechtzufinden. Initiativen in Rheinland-Pfalz bieten speziell älteren Menschen an, den Umgang mit Tablet, Smartphone und Laptop zu üben. Sie entdecken das Internet, probieren neue Kommunikationsmittel aus und erfahren das Wichtigste zum Thema  Datensicherheit. Florian Tremmel, Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz, stellte das Projekt ‚Silver surfer‘ vor. Seine Kollegin Anni-Marie Fabian informierte über das Angebot, sich zu ehrenamtlichen Digitalbotschaftern (Digibo) ausbilden zu lassen. „Voraussetzung ist, dass die Interessenten selbst digitale Medien in ihrem Alltag einsetzen und ihr Wissen gerne an Senioren und Seniorinnen weitergeben wollen. Wir schulen die Botschafterinnen und Botschafter an unterschiedlichen Orten in Rheinland-Pfalz.“ Die Digibos können selbst bestimmen, wie sie ihr Wissen weitergeben. „Es gibt zum Beispiel in der Pfalz ein Babbelcafé, in dem bei Kaffee und Kuchen unter anderem über digitale Medien gesprochen wird“, nennt Florian Tremmel ein Beispiel. „Das Angebot ist niederschwellig und soll diejenigen weiter bilden, die bisher keinen oder wenig Kontakt mit digitalen Medien hatten. Die nächstn Schulungen werden in Idar-Oberstein, Kusel und in der Eifel stattfinden. Wer Interesse hat, sich zum ehrenamtlichen Digitalbotschafter qualifizieren zu lassen, kann sich bei uns melden.“ Außerdem sucht die Landeszentrale ältere Schülerinnen und Schüler für ein ähnliches Projekt.
Kommunen entwickeln eine passende Digitalstrategie

In sogenannten Digital-Werkstätten präsentiert die Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz nutzbare Ergebnisse des Projektes „Digitale Dörfer“ in verschiedenen Kommunen von Rheinland-Pfalz und unterstützt dabei, eine passende kommunale Digitalstrategie zu erarbeiten. Diese umfasst u. a. die digitale Infrastruktur, Bildung und Jugend, kommunale Wirtschaft, Dorf- und Stadtentwicklung und das Alltagsleben der Bürgerinnen und Bürger. In Gruppenarbeiten entwickelten die Teilnehmenden unter Anleitung von Sören Damnitz, Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz, selbst eine passende Strategie zu ausgewählten Themen. „Die kommunalen Vertreter setzen sich in diesen Workshops intensiv mit den Aspekten der Digitalisierung auseinander und erarbeiten erste Schritte zur Umsetzung in der eigenen Kommune“, erläuterte Sören Damnitz. Checklisten zur Digitalwerkstatt sind unter landleben-digital.de zu finden.
Annika Saß, Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz, stellte die Initiative ‚Dorf-Büro‘ vor. Dabei werden Umsetzungsmöglichkeiten von Coworking im ländlichen Raum beispielhaft getestet. Während sich in den Städten das Coworking bereits etabliert hat, steckt diese Möglichkeit auf dem Land noch in den Kinderschuhen. Ein Dorf-Büro ist ein Gemeinschaftsbüro, in dem zeitlich flexibel Arbeitsplätze und Besprechungsräume angemietet werden können (Coworking). Die Einrichtung von Dorf-Büros bietet Dörfern und kleinen Städten die Chance, die eigene Infrastruktur zu stärken, Unternehmen in der Region zu halten und Arbeit ins Dorf zurück zu holen. Unter dem Titel ‚Ein Schreibtisch in Prüm‘ teilen sich derzeit 6 Personen ein Büro. „Durch die Förderung ist die Miete gering. Die Mieterinnen und Mieter schätzen es, in Ruhe arbeiten zu können und trotzdem zwischendurch Möglichkeiten zum Austausch mit den anderen zu haben,“ hat Annika Saß beobachtet. „Der Vorteil der anbietenden Gemeinde ist es, dass die Mieter im Ort einkaufen und wohnen und damit zum Erhalt der Infrastruktur beitragen.“
Die Teilnehmenden diskutierten eingehend über die unterschiedlichen Projektansätze. Oft stehen die Kosten bzw. die Frage, wer die Kosten übernimmt bei einer Einführung in die Regelversorgung, der Umsetzung im Wege. Andererseits bietet gerade die Vielfalt der Forschungsansätze die Möglichkeit, praxisreife Strategien heraus zu filtern.