Gut leben mitten im Dorf!

Erfolgreiche Tagung zur Innenentwicklung der Dörfer

Die Bewältigung des demografischen Wandels in unseren Dörfern hat für die rheinland–pfälzischen LandFrauenverbände einen besonderen Stellenwert. Die Arbeitsgemeinschaft der LandFrauenverbände bot in Kooperation mit der Agrarsozialen Gesellschaft eine landesweite zweitägige Weiterbildung zur Dorfentwicklung an. "Wir müssen unsere Dörfer lebenswert erhalten", betonte Petra Seitz, Vizepräsidentin des LandFrauenverbandes Pfalz, in ihrer Begrüßung. "In diesem Seminar wollen wir praxisnahe Anstöße geben, Ideen und Anregungen in den eigenen Dörfern umzusetzen." Das Angebot stieß bei  Kommunalvertreterinnen und –vertretern, Landfrauen und weiteren Interessierten auf reges Interesse. Getagt wurde in der wunderschön umgenutzten ehemaligen katholischen Kirche in Kriegsfeld.
Innenentwicklung der Dörfer erfordert viel Geduld
Rheinland-Pfalz hat neben dem Saarland die höchste Leerstandsquote im ländlichen Raum der westlichen Bundesländer. Nicht nur Wohnhäuser sind betroffen, sondern in hohem Maße auch Gewerbeimmobilien. Die sinkenden Einwohnerzahlen werden weiterhin zu massiven Kaufkraftverlusten im ländlichen Raum führen. Durchschnittlich gibt jeder Einwohner 5.000€ im Jahr für seine Bedürfnisse aus. "Daher bedeutet beispielsweise ein Verlust von 8.500 Einwohnern einen Kaufkraftverlust von 42,5 Millionen Euro im Einzelhandel und bedingt einen Überschuss von rund 10.600 Quadratmetern Verkaufsfläche! Hinzu kommen die sozialen Auswirkungen." Prof. Karl Ziegler, Technische Universität Kaiserslautern, machte den Teilnehmenden an zahlreichen Beispielen deutlich, welche Folgen der Einwohnerrückgang für die Dörfer konkret hat. Im 'Folgekostenrechner für die Ausweisung von Neubaugebieten' kann jede Gemeinde die Wirtschaftlichkeit der Erschließung neuer Baugebiete berechnen. "Die Erschließung von Neubaugebieten bei Baulandpreisen unter 70€ je Quadratmeter hat katastrophale finanzielle Folgen für die Kommunen", hob Prof. Ziegler hervor. "Wird der Ortskern als Baugebiet genutzt, so haben Umbauwillige einen Preisvorteil von rund 25%, sofern die Objektgrundlage stimmt." Sind leer stehende Häuser in Ortsrandlagen verhältnismäßig leicht zu vermarkten, stellen Gebäude an viel befahrenen Straßen eine besondere Herausforderung dar. Hier empfiehlt Prof. Ziegler einen Nutzungstausch. "Bauen Sie die Scheune hinten zum Wohnraum aus und legen Sie die Nebennutzungen zur Straßenseite." Jedes Dorf sollte ein Gesamtkonzept erstellen über Flächen und Gebäude hinsichtlich Rück- und Umbau, Revitalisierung und Weiterentwicklung.
"Identifikation ist der Schlüssel für ein Engagement im Ort", so Dorfplanerin Nathalie Franzen, Gau-Odernheim. Sie erarbeitete mit den Teilnehmenden einen Strategieplan zur Dorfentwicklung von Kriegsfeld. In Dorfrundgängen betrachteten die Teilnehmenden die Infrastruktur des Ortes aus verschiedenen Blickwinkeln. "Wie erleben Kinder und Jugendliche bzw. Ältere den Ort? Welchen Eindruck gewinnen Besucher und Neubürger? Wie gestaltet sich das soziale Miteinander im Dorf?" Die Gruppen trugen ihre Beobachtungen zusammen und leiteten erste Maßnahmen und Strategien ab, so dass Ortsbürgermeister Ullrich eine ausbaufähige Vorlage für seinen Gemeinderat erhielt. Diplom-Geograf Tim–Moritz Koch, Rauischholzhausen, befasste sich mit dem Anstoß von Dorfinnenentwicklungsprozessen. Zunächst müssen bei Gemeindevertretern und Einwohnern der Wille zum Handeln geweckt werden, beispielsweise durch eine Fotoausstellung. Wie sah es früher aus – wie heute? Ein Dorferneuerungskonzept muss aufgestellt werden, eine fortlaufende begleitende Öffentlichkeitsarbeit ist erforderlich. Private und öffentliche Sanierungs- und Umbaumaßnahmen führen zu Nachahmungseffekten. Wettbewerbserfolge führen zu Lob und Anerkennung von außen und erhöhen die  Wertschätzung für das eigene Dorf. Schließlich muss eine dauerhafte Dorferneuerung installiert werden. "Sie müssen viel Überzeugungsarbeit leisten! Es wird sehr lange dauern, dann wird sich etwas bewegen", lautet sein Fazit.
Das Wallmeroder Modell
Mario Steudter, Bauamtsleiter der Verbandsgemeinde Wallmerod, stellte ein erfolgreiches Modell zur Wiederbelebung der Ortskerne vor. Alle 21 Ortsgemeinden haben die Aufgabe der Dorfinnentwicklung an die Verbandsgemeinde Wallmerod (VG) übertragen und weisen seit zehn Jahren keine Neubaugebiete mehr aus. Gefördert werden Erwerb und Sanierung alter Bausubstanz, Bebauung von Baulücken sowie der Abriss alter Gebäude und Neubau an gleicher Stelle. "Wir halten den bürokratischen Aufwand bewusst gering. So entscheiden wir in der Regel innerhalb von 10 Arbeitstagen über die Genehmigung von Abriss, Um- bzw. Neubauten. Es gibt keine Auflagen bezüglich der Gestaltung der Gebäude. Wir bieten finanzielle Anreize in Form einer kostenfreien Erstberatung für Käufer und Verkäufer durch einen Architekten sowie einer jährlichen Förderung in Höhe von 1.000€ pro Jahr, maximal über 8 Jahre." In den zehn Jahren wurden von der VG 153 Objekte in allen Ortsgemeinden gefördert, zu 77% junge Familien, 95% Eigenbezug. Es kam zu einem Zuzug von rund 25% in die VG Wallmerod. "Wir haben alle erfolgreichen Um- und Neubauten ins Internet gestellt, damit  sich potentielle Käufer und Verkäufer konkrete Anregungen holen können." Folgende Zahlen ließen aufhorchen: Bei 150 Objekten haben die Ortsgemeinden einen Aufwand von rund 920.000€ für die Erschließung von 9 ha Neubaufläche gespart. Die Ortsgemeinden sind über die VG-Umlage an der Förderung der Dorfinnenentwicklung beteiligt, allerdings fließen die 1.000€ Förderung pro Jahr an Einwohner der Dörfer zurück. Die privaten Investoren haben über 23 Millionen Euro in die Ortskerne investiert und es sind überwiegend einheimische Fachfirmen beauftragt worden.
Wettbewerb als Impulsgeber für die dörfliche Entwicklung
"Nehmen Sie den Wettbewerb aus Eigennutz für Ihr Dorf an und erstellen Sie eine Stärken – Schwäche – Analyse des gesamten Dorfes, nicht nur der Bausubstanz", so der Rat von Andreas Diener, Mitglied der Gebietskommission 'Unser Dorf hat Zukunft'. Anhand der ausgeteilten Bewertungskriterien können die Teilnehmenden in den Gemeinderäten selbst ihre Einschätzungen zur Situation des Dorfes abgeben und damit einen eigenen Eindruck der Gesamtlage gewinnen. Lore Bühler, Mitglied der Landeskommission im Dörferwettbewerb, rief dazu auf, lebenslanges Wohnen und Leben für alle Altersgruppen im Dorf zu ermöglichen. "Wir müssen für alte und beeinträchtigte Menschen kleine überschaubare Wohneinheiten in unseren Dörfern schaffen, damit sie in ihren Dörfern wohnen bleiben können. An diese kleinen Wohneinheiten können Betreuungs- und Versorgungseinrichtungen für Alleinstehende und Schulkinder angegliedert werden, so dass wiederum Arbeitsplätze in den Dörfern entstehen!"
Leerstandslotsen – aktiv gegen Leerstand
Katharina Ertl und Arne Schwöbel, Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz, stellten die Ausstellung 'Tatort Leere' und das Modellprojekt 'Leerstandslotsen' vor. "Häufig liegen eigentümerbezogene Gründe für einen Leerstand vor", so ihre Erfahrungen. "Da setzen wir an." Anhand einer Praxisübung schlüpften die Teilnehmenden in die Rolle eines Leerstandslotsen. Dieser soll nach der Qualifizierung als Kümmerer für den Immobilienleerstand im Dorf tätig werden. Die ehrenamtliche Tätigkeit erfolgt in enger Absprache mit der Ortsgemeinde. Der Lotse spricht Eigentümer leer stehender Gebäude an und erfragt, was sie mit dem Gebäude planen, gibt Anregungen und stellt Kontakte zu unterschiedlichen Ansprechpartnern her. Der Lotse ist kein Ersatz für Fach- und Expertenberatung und auch kein Makler.
Intensiver Erfahrungsaustausch
Die Teilnehmenden brachten an beiden Tagen ihr Wissen und ihre Erfahrungen in die regen Diskussionen ein. "Mir ist klar geworden, dass die fachliche Beratung durch einen Dorfplaner oder eine Planerin wichtig ist. Allerdings können wir im Vorfeld schon einiges in Eigeninitiative erledigen. Dazu nehme ich viele Anregungen mit", so das Resümee einer Teilnehmerin.

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