Fachtagung Hauswirtschaft

Herausforderungen der Zukunft sind ohne Hauswirtschaft nicht zu bewältigen

Die Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz (LWK) lud zur landesweiten Fachtagung Hauswirtschaft nach Bad Kreuznach ein. Rund 50 Fach- und Führungskräfte aus der Hauswirtschaft diskutierten über aktuelle Entwicklungen in der Aus- und Weiterbildung.  „Berufsbildung ist für die Landwirtschaftskammer ein zentrales Thema. 27 % des Kammerbeitrages werden dafür aufgewendet. Dabei benötigen wir mehr finanzielle Unterstützung durch das Land Rheinland-Pfalz, “ so Kammerdirektor Alfons Schnabel in seiner Begrüßungsrede. „Im Beruf Hauswirtschaft  betreut die Kammer die Auszubildenden in den land- und weinbaulichen Betrieben. Zudem bieten wir Vorbereitungslehrgänge auf die Abschlussprüfung ebenso an wie Lehrgänge, die zur Meisterprüfung in der Hauswirtschaft hinführen.“
Gertrud Specht, LWK, stellte aktuelle Zahlen der Aus- und Weiterbildung vor. Sie warb für neue Auszubildende, denn es gibt noch freie Ausbildungsplätze in der Hauswirtschaft. „Hauswirtschaft entwickelt sich weiterhin  zum Zweitberuf“, so ihr Fazit. „Die Lehrgänge zum Berufsabschluss auf dem zweiten Bildungsweg erfreuen sich großer Beliebtheit.“ Dajana Müller, LWK, stellte die Ergebnisse der aktuelle Studie ‚Neue Perspektiven für die Hauswirtschaft‘ vor. „97 % der Befragten sagen, dass Hauswirtschaft gebraucht wird! Die Hauswirtschafterinnen werden als Allrounder eingesetzt und geschätzt und trotzdem ist das Berufsbild kaum bekannt.“  Die ausgebildeten Fachkräfte kommen allmählich ins Rentenalter und der Berufsnachwuchs fehlt. Häufig sind Ausbildungsabbrüche zu beobachten. Ein Grund liegt in falscher Beratung hinsichtlich der Anforderungen an die Auszubildenden. „Ein großes Potential wird in einer pflegebegleitenden Hauswirtschaft  gesehen. Das erfordert Abstimmungsbedarf mit diesem Berufsbild, “ stellte Dajana Müller heraus. Die Teilnehmerinnen forderten, das Berufsbild auch bei der Agentur für Arbeit stärker bekannt zu machen, damit die Berater realistische Vorstellungen von Anspruch und Vielseitigkeit des Berufes erhalten. Eine weitere Forderung besteht darin, dass nur ausgebildete Fachkräfte in der Mittagsverpflegung der Kindertagesstätten und Schulen tätig sein dürfen. „Eltern und Kommunen geben viel Geld für die Kinderbetreuung aus. Ausgerechnet  beim Fachpersonal in der Verpflegung wird gespart, “ so eine Teilnehmerin. Auch der Unterricht im Fach Hauswirtschaft in den Schulen wird zunehmend von fachfremden Lehrkräften übernommen. „Hier müssen wieder mehr Fachlehrer/innen ausgebildet und eingesetzt werden.“
Liesa-Maria Faust und Janina Thilmann, LWK, stellten das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderte und vom Europäischen Sozialfonds (ESF) kofinanzierte Projekt "Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen bei der passgenauen Besetzung von Ausbildungsplätzen sowie bei der Integration von ausländischen Fachkräften" vor. Beide Beraterinnen werben für die Ausbildung in den Grünen Berufen in Schulen und auf Berufsbildungsmessen. „Wir besuchen auch Ausbildungsbetriebe und erstellen dort Anforderungsprofile, um möglichst  passgenaue Bewerber zu vermitteln“, erläuterte Liesa-Maria Faust. Seit diesem Jahr wurde das Projekt erweitert. Beide Beraterinnen stehen nun auch als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung, wenn ausländische Auszubildende und Fachkräfte auf die Betriebe kommen und Unterstützung bei der Eingewöhnung benötigen. Hier stellen sie Kontakte zu Vereinen und anderen Stellen her. „In diesem Jahr sind wir erstmals in die Weiterbildung der Berufskoordinatoren der Schulen eingebunden“, berichtete Janina Thilmann. „Dabei stellen wir den Lehrerinnen und Lehrern das Projekt und die Vielfalt der Grünen Berufe vor.“ Die Ausbildungslotsinnen sind über facebook mit den Jugendlichen in Kontakt und geben aktuelle Informationen weiter. „Die Beiträge auf facebook sind wunderschön und können gut geteilt werden“, schilderte eine Teilnehmerin ihren Eindruck.

Ein Schwerpunktthema  in diesem Jahr befasste sich mit Allergien und Lebensmittelunverträglichkeiten und den damit verbundenen neuen Vorschriften zur Allergenkennzeichnung. Ruth Davin, Oecotrophologin am Dienstleistungszentrum ländlicher Raum Westpfalz, brachte den Teilnehmerinnen eine noch in der Endabstimmung stehende Rechtsvorschrift näher. „Die Verkäufe laktosefreier Milch steigen immer mehr an, die Laktoseempfindlichkeit der Menschen aber kaum.“ Mit dieser Feststellung stieg Ruth Davin ins Thema ein und brachte ein aktuelles Phänomen zur Sprache. Die Werbung nutzt das Thema Allergien und versucht daraus Kapital zu schlagen. „14 Hauptallergene lösen rund 90% aller Nahrungsmittelunverträglichkeiten aus. Daher müssen diese mittlerweile auch bei loser Ware und bei Mahlzeiten gekennzeichnet werden. Dabei reicht es nicht aus, nur ‚enthält Gluten‘ zu deklarieren. Es muss auch die Getreideart genannt werden. Ein Weizenallergiker erkennt dann, dass er ein Gericht, das anderes Getreide enthält, essen kann. Allein die Aussage ‚enthält Gluten‘ hilft ihm wenig, “ erläuterte Ruth Davin. Wie geht man praktisch vor? 1. Überblick über die Zutaten aller in der Küche verwendeten Lebensmittel verschaffen; 2. in den schriftlich vorliegenden Rezepturen die Allergene kennzeichnen; 3. alle Menükomponenten ausschließlich nach den Rezepturen und definierten Zubereitungsprozessen herstellen, einschließlich Dekoration und Würze; 4.Speisepläne entsprechend kennzeichnen. Kostenfrei nutzbare Symbole für die Kennzeichnung von Allergenen auf der Speisekarte findet man unter www.allergen-symbolik.de/materialien. „Die Landwirtschaftskammer hat ein EDV-Programm zur Speisenkalkulation  entwickelt, in dem sich auch Zusatzstoffe und Allergene leicht einpflegen lassen“, wies Maria Goetzke auf ein aktuelles Angebot der LWK hin.  
Am Nachmittag stand ein gesellschaftspolitisches Thema der hauswirtschaftlichen Bildung auf der Tagesordnung. Edith Gätjen, Oecotrophologin, Familientherapeutin und Buchautorin, entführte die Tagungsteilnehmerinnen in die spannenden und für Erwachsene oft fremden Lebenswelten und Esskulturen von Jugendlichen. Gemeinsam ging man der Frage nach, wie man Jugendliche zu einer gesunden Lebensweise motivieren kann. Dazu muss man zunächst einmal wissen, wen man vor sich hat. „Stellen Sie sich die Pubertät als Totalrenovierung einer 6-Zimmer-Wohnung mit 8 Bewohnern vor, die während der Umbaumaßnahmen in dieser Wohnung leben. Das gibt ein unglaubliches Durcheinander. Man fühlt sich zeitweise nicht mehr zu Hause. “ Durch zahlreiche anschauliche Beispiele gelang es der Referentin, die Teilnehmerinnen in das Thema einzubeziehen. Während der Pubertät erfolgt der zweite Hirnwachstumsschub. Das Gehirn wird komplett neu sortiert und die Wege der Informationsaufnahme und der Emotionen werden neu geordnet. Auch die Hormonspiegel sind verändert und haben Einfluss auf das Verhalten der Jugendlichen. „Zentrale Fragen der Jugendlichen sind: Wozu brauche ich das?  Ist das wichtig für mein weiteres Leben? Alles, was nicht als sinnvoll erachtet wird, wird ausgemustert.“ Liegt ein Ziel weit in der Zukunft, baut die Motivation der Jugendlichen sehr schnell ab. Sie müssen immer wieder neu motiviert werden. Neugier ist dabei die wichtigste Triebfeder. Das Thema ‚Jugendesskultur‘ gibt es erst seit etwa 20 Jahren. Vorher gab es die klassischen Mahlzeiten daheim. Essverhalten heute ist ein Beziehungsthema. Es ist abhängig von Alter, Geschlecht, sozialem Milieu, Lebensstil, Freundeskreis und Medien. Stilbildungsmittel der Jugendlichen sind u.a. Sprache, Kleidung und auch das Essen. „Es gibt eine soziokulturelle Symbolik von Nahrungsmitteln, “ so die Referentin. „Basics sind Reis, Nudeln und Kartoffeln – diese haben wenig Symbolcharakter. Symbolics sind Markenprodukte. Sie geben Auskunft über die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen. Unis sind beispielsweise Pizza und Tomaten mit Mozzarella, die unabhängig vom Lebensstil allgemein akzeptiert sind. Erst die Zubereitungsart und der Ort des Verzehrs geben  Auskunft über den Lebensstil.“ Somit sind Nahrungsmittel und Speisen Träger bedeutungsvoller Zeichen. Die Essenswelt der Jugendlichen zeigt ein Lebensmittelangebot, in dem alles immer verfügbar ist. Während die klassischen Mahlzeiten satt machen, Gemeinschaft stiften, Regeln und Normen, Sicherheit und Zugehörigkeit vermitteln, werden Snacks ohne wirklichen Hunger nebenbei gegessen, oft auch ohne subjektiv wahrgenommen zu werden. „Jugendliche haben hohe Ansprüche an die Ernährung, wissen wenig über die Herkunft der Lebensmittel und nehmen selten an der Zubereitung teil. 90% der Jugendlichen finden Gefallen an gemeinsamen Mahlzeiten.“  Damit Jugendliche zu einem selbstbestimmten, verantwortungsbewussten und genussvollen Essen hingeführt werden, müssen die Erwachsenen dies selbst authentisch vorleben. Das beginnt in der Familie und bezieht auch die Lehrkräfte mit ein, die an der Mittagsverpflegung in der Schule selbstverständlich und mit Freude teilnehmen. „Respektieren Sie die Essenswelt der Jugendlichen! Es ist notwendig, dass die Jugendlichen Raum zum eigenen Erleben und zur Selbstverantwortung erhalten. Sie sollten in der Küche daheim kochen dürfen, auch wenn sie anschließend Gebrauchsspuren aufweist! Wichtig ist es, einen Alltagsbezug herzustellen und praxisbezogen zu arbeiten. Diskutieren Sie über Warenkunde und Qualität! Vermitteln Sie das Kochen von der Planung bis hin zum Spülen, “ diese Ratschläge gab Edith Gätjen den Teilnehmerinnen mit auf den Weg.
„Allein die im Laufe der heutigen Tagung geschilderten komplexen Anforderungen und Tätigkeiten erfordern qualifizierte hauswirtschaftliche Fachkräfte“, zog Andrea Schwahn, LWK, das Fazit der Tagung. „Die Herausforderungen reichen von bewusster Kommunikation mit den unterschiedlichen Zielgruppen über die Gestaltung eines optimalen hauswirtschaftlichen Angebots bis hin zur fachgerechten Umsetzung der rechtlichen Anforderungen. Das kann nur mit aus- und fortgebildeten Hauswirtschafterinnen und Hauswirtschaftsmeisterinnen  umgesetzt werden.“