Landwirtschaft im Dauerkrisenmodus

Die zahlreichen Krisen unserer Zeit standen bei der Vollversammlung der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz im Mittelpunkt.

Die Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz lud zur Vollversammlung ein – und zahlreiche Delegierte folgten. Neben den Regularien, etwa die Jahresrechnung sowie die Haushalts- und Stellenplanung, findet im Rahmen der Vollversammlung, die als Parlament der Bäuerinnen und Bauern gilt, ein reger Austausch mit der Politik statt. Kammerpräsident Ökonomierat Norbert Schindler begrüßte die rund 130 Gäste in der Bockenauer-Schweiz-Halle und streifte in seiner Rede zur Situation der Landwirtschaftskammer die Kernthemen aktueller Agrarpolitik.„Ukrainekrise, Energiekrise, Klimakrise – und die Landwirtschaft mittendrin“, könnte man den Tenor Schindlers zusammenfassen. „Wir werden noch lange mit den Folgen dieser Krisen zu kämpfen haben, und trotzdem müssen wir uns noch mit anderen Problemfeldern beschäftigen“, sagte Norbert Schindler. So werde die Landwirtschaft in den öffentlich-rechtlichen Medien immer noch häufig völlig falsch dargestellt. Er erinnerte an eine Ausgabe des „ZDF Magazin Royal“ mit Jan Böhmermann, in der dieser zu einer irrationalen „Weinbeschimpfung“ anhob. Zweites Beispiel: Die haarsträubenden Aussagen der Schauspieler Hannes Jaenicke und Sky du Mont in der Talksendung „3nach9“. „Kälber werden ihren Muttertieren direkt nach der Geburt entrissen und in Container gestopft. Wer solch einen Unsinn von sich gibt, braucht dringend Bildung“, so Schindler, der dann in diesem Zusammenhang auf einen Lichtblick hinwies. Beim Projekt „Lernort Bauernhof“ lernen Kinder die Zusammenhänge direkt auf landwirtschaftlichen Betrieben kennen. „So kommt das dringend notwendige Wissen rund um die Landwirtschaft und die Sicherung unserer Ernährungsgrundlagen in die Köpfe junger Menschen.“

"Vorschlag muss vom Tisch!"

Der Vorschlag der EU-Kommission, in sogenannten „gefährdeten Gebieten“ keine Pflanzenschutzmittel mehr zuzulassen, beschäftigte die Vollversammlung immer wieder. „Dieser Vorschlag muss vom Tisch!“, forderte Kammerpräsident Schindler, und mit dieser Aussage ist die grundsätzliche Stimmung der Anwesenden auf den Punkt gebracht.

Staatsekretär Andy Becht vertrat die rheinland-pfälzische Ministerin für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Umwelt, Daniela Schmitt. In seiner Ansprache nahm er Stellung zur Agenda Norbert Schindlers, bemühte sich aber auch um das Wohlwollen der Landwirtschaft. „Landwirtschaft und Krise – das hing schon immer zusammen. In den schlimmsten Krisen kam stets der Ideenreichtum Ihres Berufsstandes zum Tragen und half bei der Lösung dieser Krisen“, sagte Becht. „Ohne diesen Kulturgewinn durch die Landwirtschaft würden unsere Kinder heute nicht in die Schule gehen, sondern auf die Äcker zum Arbeiten.“ Es seien große Herausforderungen zu meistern, allerdings habe er auch eine gute Nachricht dabei: „Wir werden bis 21. Dezember rund 255 Millionen Euro an Direkt- und Ausgleichszahlungen an die Betriebe auszahlen können. Auch wird die Landwirtschaftskammer mit 400.000 Euro mehr ausgestattet.“

Wer hat geschlafen?

Auf den Vorwurf, die Landespolitik habe bei der Thematik „Rote Gebiete und Ausweisung von Messstellen“ geschlafen, antwortete Becht: „Das stimmt, aber das war ein gesamtstaatliches Verschlafen. Der Bund ist bei der EU gescheitert, das liegt nicht in unserer Verantwortung. Die angedrohten Sanktionen ließen keinen anderen Weg zu, als nun rasch zu handeln.“ Mehrere Redner entgegneten, dass es nun vor allem auf zwei Dinge ankomme: Ausbau des Messstellennetzes und Einführung des Verursacherprinzips.

Zum Schluss seines Beitrags machte Staatssekretär Becht Werbung für die rheinland-pfälzische Agrar-Informatik und meinte damit die Geobox-Infrastruktur. „Mehrere Bundesländer haben sich diesem System angeschlossen. Das ist für mich einer der stärksten Nachweise, dass wir uns hier auf einem erfolgreichen Weg befinden. Und das ist auch Ihr Verdienst!“

Zu den Regularien: Die Vollversammlung beschloss die von Kammerdirektor Dr. Markus Heil präsentierte Jahresrechnung 2021, erteilte dem Vorstand und der Verwaltung Entlastung und verabschiedete den Haushalts- und Stellenplan 2023. Die Haushaltssumme stieg auf rund 33 Millionen Euro – darin ist der Neubau der Dienststelle in Bekond mit 4,9 Millionen Euro eingepreist. Als Belastung für den Haushalt stellen sich Personalkostensteigerungen, die allgemeine Inflation und natürlich auch Energiekosten dar. Dennoch konnte durch Einsparmaßnahmen und Rücklagenentnahme ein ausgeglichener Haushalt vorgelegt werden.

Außerdem stand die Erhöhung der ehrenamtlichen Entschädigungen auf dem Programm, die eine Änderung der Hauptsatzung erforderte. Die ehrenamtlich für die Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz Tätigen erhalten nun 30 Euro (vorher 26 Euro) für bis fünfstündigen Zeitaufwand und 60 Euro (vorher 50 Euro) für Zeitaufwand, der über fünf Stunden hinausgeht. „Es handelt sich hier nicht um eine Bezahlung des Ehrenamts, sondern um ein Zeichen der Wertschätzung“, erklärte Kammerdirektor Dr. Heil.

Neueste Studien zur Milchviehwirtschaft

Hergen Rowehl war als Gastredner nach Bockenau gereist und trug in seiner Funktion als Geschäftsführer des Landeskontrollverbandes Rheinland-Pfalz Saar e.V. die neuesten Erkenntnisse in Sachen Milchproduktion vor. „Viele der Forderungen aus Politik und Gesellschaft an die Milchviehhalter werden bereits längst erfüllt“, lautete eine seiner Kernthesen. So sei die Menge von Methan, das durch Milchvieh entsteht, bereits seit dem Jahr 2003 geringer als 1892. Zudem zähle man aktuell den geringsten Milchviehbestand seit 1990. „Die geforderte Reduktion ist also längst im Gange.“